Dürfen Beamte streiken oder nicht? Darüber wird das Bundesverfassungsgericht 2018 entscheiden. ver.di unterstützt die Forderung nach einem Streikrecht für Beamte. Die Verhandlungen beginnen im Januar 2018.
Im Januar 2018 wird das sich Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe damit befassen, ob Beamte streiken dürfen oder nicht. ver.di geht davon aus, dass bis Mitte 2018 mit einem Urteil zu rechnen ist. Anlass für das Verfahren sind Verfassungsbeschwerden mehrerer verbeamteter Lehrkräfte, die sich an Streiks beteiligt hatten und dafür disziplinarisch belangt wurden.
Streikende Beamte: Verstoß gegen grundlegende Pflichten
Die Beschwerdeführenden sind oder waren als beamtete Lehrkräfte an Schulen in verschiedenen Bundesländern (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) tätig. Sie nahmen in der Vergangenheit während der Dienstzeit (teils wiederholt) an Protestveranstaltungen beziehungsweise Streikmaßnahmen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft teil, heißt es in der einer Pressemeldung des BVerfG. Diese Teilnahme wurde durch die zuständigen Disziplinarbehörden disziplinarrechtlich geahndet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Streikteilnahme stelle einen Verstoß gegen grundlegende beamtenrechtliche Pflichten dar. Insbesondere dürfe ein Beamter nicht ohne Genehmigung dem Dienst fernbleiben. In den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren wandten sich die Beschwerdeführerinnen sowie der Beschwerdeführer erfolglos gegen die jeweils ergangenen Disziplinarverfügungen.
Gewährleistet Koalitionsfreiheit ein Streikrecht für Beamte?
Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführenden eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG (teilweise in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Sie machen insbesondere geltend, die Koalitionsfreiheit gewährleiste ein Streikrecht auch für Beamte, jedenfalls aber für beamtete Lehrkräfte. Solange Beamte keine hoheitlichen Aufgaben ausübten, unterfielen sie nicht dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG. Auf die Personengruppe der nicht hoheitlich tätigen Beamten, zu der beamtete Lehrkräfte zählten, finde Art. 33 Abs. 5 GG und das daraus abgeleitete Streikverbot keine Anwendung. Selbst wenn man von einer Anwendung des Art. 33 Abs. 5 GG auf alle Beamten ausginge, sei das Streikverbot für Lehrer nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren.
EU-Menschenrechtskonvention im Fokus
Darüber hinaus rügen die Beschwerdeführenden die Missachtung der Vorgaben des Grundgesetzes zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung des nationalen Rechts. Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleiste mit Art. 11 Abs. 1 ein umfassendes Streikrecht für Beamte, welches nicht statusbezogen, sondern nur nach funktionalen Kriterien eingeschränkt werden dürfe. Diese völkerrechtlichen Vorgaben ließen sich auf das nationale Recht übertragen. Das von der Rechtsprechung bislang als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums angesehene Streikverbot für Beamte müsse daher insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den Rechtssachen Demir und Baykara v. Türkei (Urteil der Großen Kammer vom 12. November 2008, Nr. 34503/97) und Enerji Yapi Yol Sen v. Türkei (Urteil vom 21. April 2009, Nr. 68959/01) überdacht werden.
Streikverbot: Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit
ver.di vertritt seit langem die Position, dass auch die Arbeits- und Einkommensbedingungen der Beamtinnen und Beamten verhandelt und nicht verordnet werden sollen. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften unter ihnen ver.di und die GEW halten ein Streikverbot für einen Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit nach dem Grundgesetz. Die Koalitionsfreiheit gewährt Beschäftigten das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, ihre Arbeitsbedingungen vertraglich mit den Arbeitgebern zu vereinbaren und dafür auch Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Darüber hinaus verstößt ein Streikverbot für Beamtinnen und Beamte auch gegen die Menschenrechte. Dies hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor einigen Jahren entschieden.
ver.di unterstützt die Forderung nach einem Streikrecht
ver.di unterstützt die Forderung nach einem Streikrecht für Beamtinnen und Beamte und hat mit dem DGB und der GEW eine gemeinsame Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht abgegeben. ver.di setzt sich seit langem für Verhandlungsrechte der Beamtinnen und Beamten ein. In einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat dürfe es keine Gruppe von Beschäftigten geben, deren Arbeits- und Einkommensbedingungen allein vom Arbeitgeber geregelt werden dürfen, betont die Gewerkschaft. ver.di fordert für Beamtinnen und Beamte: „Verhandeln statt verordnen!“ Dazu müssten Beamtinnen und Beamte ihre Forderungen auch durchsetzen können.